(Des)Orientierung
Ruth Anderwald + Leonhard Grond, Peter Hoiss, Gerburg Neunteufl Pipina Schickaneder
Kuratiert von Hubert Hasler
Vernissage 10. September, 2020 / 19 Uhr
Dauer 11. – 3.10.2020
HASENHERZ oder die Lust am bewegten Bild und Wort
24. September 2020, 19h
Treffpunkt/ meeting: Galerie 12-14, Schleifmühlgasse 12-14, 1040 Wien
Mit Molly McDolan & Ana Inés Feolas Interpretation von Pia Palmes “Eins und Doppelt”.
HASENHERZ oder die Lust am bewegten Bild und Wort begann 2012 als Screening- und Diskussionsformat. HASENHERZ ist einerseits ein eigenständiges Kunstwerk und andererseits ein Instrument der vertieften Auseinandersetzung mit Kunst, das einen offenen Austausch zwischen Künstler*innen und dem Publikum ermöglicht. HASENHERZ, eine nomadische Reihe, macht sich die Methoden von Arnold Schönbergs Verein für musikalische Privataufführung zu eigen. Schönbergs Verein von 1918 führte neue Werke der zeitgenössischen Musik nach einem bestimmten Regelwerk einem Publikum von Musikern und Musikliebhabern vor. Nach der Aufführung des Werkes findet eine Diskussion zwischen Künstlern und Publikum statt, an die eine wiederholte Aufführung desselben Werkes anschließt. Das zweite Hören erlaubt es dem Kunstwerk, sich auf eine andere Weise zu entfalten und lässt Raum für eine Verschiebung der Wahrnehmung. Für diese HASENHERZ-Veranstaltung interpretieren die Musikerinnen Molly McDolan und Ana Inés Feola das Stück “Eins und Doppelt” von Pia Palme, ein Duo für Oboe da caccia. Alle sind zu Konzert und Diskussion sehr herzlich willkommen!
With Molly McDolan & Ana Inés Feola’s interpretation of Pia Palme’s “Eins und Doppelt”.
HASENHERZ or the Pleasures of the Moving Image and Word began as a format of screening and discussion in 2012. Simultaneously standing as a work of art in its own right, as well as an instrument of in-depth exploration, the HASENHERZ model facilitates an open exchange between the artist and the audience. HASENHERZ is a nomadic series which appropriates the methods of Arnold Schönberg’s Society for Private Musical Performance (Verein für musikalische Privataufführung). Schönberg’s 1918 association introduced new works of contemporary music to an audience of musicians and music lovers, in accordance with a specific set of rules. Following a performance of the piece, the artists and audience engage in a discussion about it, which is then followed by a repeat performance of the same piece. The second hearing allows the artwork to unfold itself in a different way and allows space for a shift in perception. This installation of HASENHERZ will feature the musicians Molly McDolan and Ana Inés Feola interpreting Pia Palme’s “Eins und Doppelt”, a duo for oboe da caccia. Please join us for the performance and artist discussion!
PICTURES of the EXHIBITION









Photocredits Mute Insurgent 2020
„Das Ding, dessen Natur dir völlig unbekannt ist, ist normalerweise das, was du finden musst, und es zu finden, ist eine Frage des Verloren-Gehens“
Woran orientieren wir uns? Was gibt uns Halt, wenn der Boden unter unseren Füßen nachzugeben scheint oder wenn die Welt Kopf steht?
(Des)Orientierung
Der Begriff Orientierung ist so vielfältig, dass er ohne inhaltlichen Zusammenhang richtungslos im leeren Raum schwebt. Erst im Kontext gewinnt er an Bedeutung und verweist beispielsweise auf eine Himmelsrichtung, ein Geschlecht oder schlicht auf oben und unten. Weiß man sich im Leben mal nicht zu orientieren, ist dies gesellschaftlich negativ konnotiert. Dabei ermöglicht genau die Wechselwirkung von Orientierung und Desorientierung eine Weiterentwicklung. Die Phase der Desorientierung bildet einen Möglichkeitsraum, in dem Altes in Frage gestellt und Neues entstehen kann.
Ins Unbekannte blicken
Die mythologische Figur des Atlas wurde ans Ende der Erde geschickt und hatte die beschwerliche Aufgabe den Himmel zu stemmen, damit dieser nicht wieder auf die Erde fällt. Er bildete den Übergang, die Achse, zwischen Himmel und Erde. Neben dieser tragenden Rolle hatte er die Möglichkeit ins Unbekannte zu blicken, damit Neues zu imaginieren oder Vorhandenes zu imitieren. Anderwald + Grond haben ihre ProtagonistInnen eingeladen, sich am – für sie subjektiv wählbaren – Ende der Welt zu positionieren. Mit ihrer Serie „Atlanten“ schafft das Künstlerduo visuelle Bilder eines reziproken Systems zwischen Weltwahrnehmung und Welterschaffung.
„Man sieht das Land vor lauter Häuser nicht“ nennt Peter Hoiss die magnethaft anmutende Installation. Bald hat man vielleicht verstanden, dass die Periskope an der Nord-Süd-Achse ausgerichtet sind. Bald ist man zugleich einer zweifachen Orientierung erlegen, da der Blick innerhalb der Sehröhren umgelenkt wird. Ein Kompass würde hier auch nichts helfen. Die (Des)Illusionierung wird bei der räumlichen Arbeit zur (Des)Orientierung.
Real Realität
Um sich zu orientieren braucht es Klarheit. Um Klarheit zu bekommen, erscheint eine Messung geeignetes Instrument zu sein, am besten mit naturwissenschaftlichen Methoden. Die Versuchsreihe von Gerburg Neunteufl Pipina Schickaneder besteht aus Grautönen, einzeln belichtet, die Belichtungszeiten sind auf dem jeweiligen Fotopapier ablesbar. Alles fein abgestimmt kommt die Psychophysik zum Vorschein: nicht alle Graustufen sind für unser Auge unterscheidbar! Die Irritation des Auges wird in den Fotogrammen weitergeführt. Wir suchen den Fokus und tauchen ein in eine graue Dimension, in die Geometrie und Farbmetrik.
„Bis in den letzten Schmutz gehen“ beschreibt die Musikerin Molly McDolan die Bewegung in vorwiegend unreinen Tönen. Mit ihrer Kollegin Ana Inés Feola spielt sie das von Pia Palme komponierte Stück „Eins und Doppelt“, in dem saubere und „falsche“ Intervalle herausgearbeitet werden, um unterschiedlichen Klangwelten Raum zu geben. Ephemere Übergänge zwischen Komposition und Improvisation verstärken die akustische Wahrnehmung der barocken Instrumente. Die Oboe da Caccia (Jagdoboe), ein Instrument, das entgegen seines Namens nur in der Kirche verwendet wurde, ertönt nun im Kunstraum. Ein auditiver Möglichkeitsraum öffnet sich.
Michaela Obermair
(Dis)orientation
In the absence of context, orientation is a concept so diverse that it floats directionless in empty space. It acquires meaning where it is situated, referring either to compass direction or gender, or sometimes simply to up and down positioning. For a person who has lost their orientation in life, it has a negative social connotation, as it is precisely during the interplay between orientation and disorientation where personal development occurs. Phases of disorientation create spaces of possibility in which the old can be questioned and the new can emerge.
Looking into the unknown
The mythological figure Atlas was given the difficult task of holding up the sky. He became the transition, the axis keeping the heavens from falling back down onto the Earth. At the edge of the world, he was able to look into the unknown, to imagine the new and to echo the existing. Anderwald + Grond have invited their protagonists to position themselves at their own subjectively-chosen end of the world. With the series “Atlases”, the artist duo’s visual images describe a reciprocal system between world perception and world creation.
“You can’t see the country for the houses” is what Peter Hoiss calls his seemingly magnetic installation. Exploring this work, it soon registers that the periscopes are oriented on a north-south axis. As a viewer yields to double orientation, their view is redirected within the viewing tubes. A compass would be of no use here. Spatial Illusion becomes (dis)orientation.
Real Reality
Clarity is an essential element of orientation and can be objectively measured using scientific methodologies. With her multi-part work “Line Elements”, Gerburg Neunteufl Pipina Schickaneder explores (un)clarity within grey tones. In a test series of fine-tuned individual exposures, where the exposure times can be read from the respective photo paper, an important psychophysical aspect becomes apparent: our eyes may not be able to distinguish all the different shades of grey! This irritation continues in the photogram part of the work. Diving into the details, the viewer attempts to find focus in a grey dimension of geometry and colorimetry.
“Getting right down into the dirt of it” is how musician Molly McDolan describes the performance of impure sounds. Together with colleague Ana Inés Feola, she plays the piece “Eins und Doppelt”, composed and filmed by Pia Palme, in which “clean” intervals are juxtaposed with “incorrect” ones. Ephemeral transitions between composition and improvisation evoke different sound environments and challenge perceptions of these baroque instruments. The oboe da caccia (“hunting oboe”) was historically only used in churches. It now resounds in the art space, opening up new areas of auditory possibilities.