DA, PAPA

Vera Klimentyeva

Kuratiert von / curated by Jan Gustav Fiedler


In the solo exhibition Da, Papa in 12-14 contemporary, the artist Vera Klimentyeva focuses on the political and religious status quo of Russia, and contextualizes it with Western political issues. The spectrum of the positions shown ranges from plastic to print graphics to painting. In doing so, Klimentyeva uses classic, iconic representations and places them in a contemporary context.


 

Photocredits Jan Gustav Fiedler & Mute Insurgent 2020


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Drei elementare Säulen eines jeden Menschen und einer jeden Gesellschaft sind Politik, Religion und Sexualität. Jede dieser Säulen ist ein Indikator für die Offenheit einer Gesellschaft. Mit welcher Freiheit die Kunst sich mit kontroversen Themen auseinandersetzen darf, ist zugleich der Spiegel eines Staates.
Der Staat, welcher bei Da, Papa besonders im Fokus steht, ist Russland. Regiert von Vladimir Putin, wird im größten Land der Welt Homosexualität gesetzlich unterdrückt, PornHub gesperrt und Dating Apps wie Tinder geben Informationen an die Geheimdienste weiter. Zudem nimmt die russisch-orthodoxe Kirche seit dem Ende der Sowjetunion wieder einen verstärkten gesellschaftlichen Stellenwert ein. Der Staat fördert diese maßgeblich durch eine Gesetzgebung, welche insbesondere nach dem Aufkommen der „Pussy Riot“ Bewegung drastisch zum Schutz des Glaubens und der Kirche verschärft wurde.
Ein Fall, der das Land seit 2018 spaltet, ist der Mord der Khachaturian Schwestern an ihrem Vater nach jahrelangem Missbrauch. Für die einen ein Akt der Selbstverteidigung in einer ausweglosen Lage, für andere ein hinterhältiges Verbrechen. Mit ihrer „Khachaturian Madonna“ greift Klimentyeva diesen Konflikt auf.
Dargestellt in der Bildsprache einer traditionellen Ikone mit drei Händen trägt Maria anstatt Christus die Khachaturian Schwestern auf dem Arm, in den anderen beiden Händen hält sie Hammer und Messer. Dieses kontroverse Werk symbolisiert zum einen die Ohnmacht und Unfähigkeit der Mutter, die eigenen Kinder beschützen zu können, aber auch das hochstilisieren der Schwestern von Teilen der Gesellschaft zu Ikonen der femininen Selbstbestimmung.
Ein weiteres Hauptwerk der Ausstellung ist eine zweite Ikone, die Corona Madonna. Entstanden während der Schutzmaßnahmen gegen das COVID-19 Virus ist sie zum einen eine Anspielung auf die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche, das Virus mit Gebeten, Weihwasser und Reliquien zu bekämpfen, zum anderen ist die Madonna eine zeitgenössische Version der Pestheiligen, ein Symbol der Hoffnung auf bessere Zeiten.
Die dritte Position ist eine Serie von zwölf goldenen Kampfpolizisten, reduziert auf die Form der traditionellen Nevaljaschka Puppe mit dem ikonischen Schutzvisier der Spezialeinheiten. Hier spielt die Materialität eine dezidierte Rolle. Die mit Goldlüster überzogenen Steingutplastiken wirken auf den ersten Blick perfekt scheinend und widerstandsfähig, bei näherer Betrachtung werden allerdings kleinere materialbedingte Unterschiede sichtbar. Durch diese Andersartigkeit wird aus der Serie von idealisierten Beamten eine Ansammlung von Individuen. Getragen werden die Plastiken von einem Podest, bestehend aus drei Sockeln. Diese stehen für Legislative, Exekutive und Judikative oder sinnbildlich für die Eingangs erwähnten Säulen Religion, Politik und Sex und symbolisieren die Gesellschaft, in deren Dienst diese Sicherheitsorgane zumindest theoretisch stehen. Die Diskussion um die Ambivalenz zwischen dem Bild des Polizisten als Freund und Helfer (ein Ausdruck der im dritten Reich durch Heinrich Himmlers Propaganda populär wurde) und Polizeigewalt ist in Zeiten, wenn demokratische Grundwerte zugunsten der Gesundheit des Volkes ausgesetzt werden, aktueller denn je.
Die dritte Werkgruppe sind eine Auswahl an Drucken (alle „Untitled“) mit einer Mischung aus politischer Symbolik und Erotik. All diese Positionen von Drucken, Plastiken und Malerei teilen die Kritik an patriarchischen Machtstrukturen und die Ohnmacht des Individuums gegenüber einem solchem System. Auch wenn der Titel Da, Papa ein dezidierter Fingerzeig gen Russland ist, haben die Aussagen der Ausstellung eine universelle Gültigkeit.

Jan Gustav Fiedler, 2020


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Vera Klimentyeva

Vera Klimentyeva ist Teil der Generation von jungen russischen Künstlerinnen, die ihre Kunst dazu nutzen, den Finger in die politischen, religiösen und sozialen Wunden ihres Heimatlandes zu legen. Das Hinterfragen von patriachaischen Machtstrukturen und die Rolle einer traditionellen orthodoxen Kirche in der heutigen Gesellschaft sind thematische Fixpunkte im Oeuvre Klimentyevas. Ihre künstlerischen Positionen reichen von diversen Drucktechniken über digitale Medien bis hin zu Plastiken und klassischer Malerei. Bezeichnend für ihr Werk sind dekonstruktive Elemente, fingierte Realitäten und das Implantieren traditioneller Darstellungsweisen in zeitgenössische Zusammenhänge. Nach ihrem Studium an der Moskauer Universität für Druckwesen (2005-2008) bei Alexander Livanov, Vladimir Tzepilov and Vladimir Kosynkin wechselte Klimentyeva an die Wiener Akademie in die Klasse von Prof. Erwin Bohatsch (2008-2010). Nach dem Abschluss ihres Diploms manifestierte sie ihre Stellung als unbequemer Spiegel der Gesellschaft in zahlreichen Ausstellungen in Österreich, Russland, Serbien und Polen. Werke Klimentyevas sind Teil von privaten und öffentlichen Sammlungen in Deutschland, Österreich, Russland, USA und Kanada.
 
Vera Klimentyeva is part of the generation of young Russian artists who use their art to put their fingers in the political, religious and social wounds of their home country. Questioning of patriarchal power structures and the role of a traditional Orthodox church in today‘s society are thematic fixed points in Klimentyeva‘s oeuvre. Her artistic positions range from diverse printing techniques to digital media to plastics and classic painting. Her work is characterized by deconstructive elements, fictitious realities and the implantation of traditional representations into contemporary contexts. After studying at the Moscow University of Printing Arts (2005-2008) with Alexander Livanov, Vladimir Tzepilov and Vladimir Kosynkin, Klimentyeva moved to the Vienna Academy of Fine Arts in the class of Prof. Erwin Bohatsch (2008-2010). After completing her diploma, she manifested her position as an uncomfortable mirror of society in numerous exhibitions in Austria, Russia, Serbia and Poland. Klimentyeva‘s works are part of private and public collections in Germany, Austria, Russia, the USA and Canada.

Jan Gustav Fiedler

Neben seiner Tätigkeit als einer der Direktoren des Museum of Now kuratiert Fiedler Ausstellungen in verschiedensten Galerien, musealen Formaten oder Zwischennutzungskonzepten.
Nach dem Kunstgeschichte Studium und ersten Ausstellungen in Wien folgten diverse Projekte wie „Wandelism“ in Berlin (2018) , im Museum Flandernbunker Kiel (2018), die „Monumenta“ Leipzig (2018), Parallel Vienna (2018), die Berlin Edition des Museum of Now (2019) und für Mana Contemporary zur Art Basel Miami (2019).

In addition to his work as one of the directors of the Museum of Now, Fiedler curates exhibitions in a wide variety of galleries, museum formats and interim use concepts.
After studying art history and first exhibitions in Vienna, various projects followed, such as “Wandelism” in Berlin (2018), in the Museum Flandernbunker Kiel (2018), the “Monumenta” Leipzig (2018), Parallel Vienna (2018), the Berlin Edition of the museum of Now (2019) and for Mana Contemporary at Art Basel Miami (2019).