#OVERRUN

Hubert Hasler

Vernissage 3.10.2019 7 pm
Ausstellungsdauer / Duration 4. – 26.10.2019

25.10.2019 8 pm Tanz den Overrun Pieter Gabriel


Pictures of the Exhbition & Opening

Photocredits Tiberius Stanciu 2019


Overrun. Überrannt.

Sofort springt der (Hashtag-)Reflex der Besorgten an. Wer wird hier überrannt? Von wem in welcher Absicht? Im Chor: „Cui bono, cui bono?“ Wo gerade noch sattes Grün mit vermeintlich beängstigender Präsenz die Betrachtenden umgibt, tönt im nächsten Moment der im Baumarkt-Grün gehaltene Weltenfresser. Genüsslich saugt er schreddernd Neophyten mit industriell-unerbitterlicher Präzision und verwandelt, gleich neben den Fotografien Hubert Haslers, damit den Seinszustand der Pflanzen. Defragmentiert und aufgelöst, ihrer wachsenden Pracht beraubt, tauchen sie schließlich wieder am Boden auf. Dort kann man sie gefahrlos betrachten, von oben auf sie herabsehen und, wenn man sich denn die Mühe machen möchte, re-konfigurieren. Ein einfacher Handbesen reicht dafür. So wie fotografische Abbildungen Augenblicke zu bannen vermögen und dergestalt beherrschbar machen, entführt der Ausstellende das Floristische ins Bauliche hinein, ehe das Neophytische endgültig seine postmoderne Defloration durch den Häcksler erlebt. Doch ohne Außen kein Innen – Grenzziehungen bilden diskursiv-machtvolle und subjektive Akte ab. Entsprechend begibt sich der Künstler Hasler hinaus und nimmt das vermeintlich Nischenhafte in den Blick, um dort die Pflanzen zu finden, die am Wegesrand in unbeachteter, marginalisierter, manchmal auch als invasiv-gebrandmarkter Gegenwart wachsen. Ein gesamtheitliches Bild dieses biologischen dekonstruierten Imperalismus entsteht somit erst durch das aufmerksame Suchen und Finden, das Abbilden und Ausstellen sowie die Rezeption durch den Besucher dieses Prozesses.

Rudolf Inderst

Hubert Hasler zeigt Arbeiten aus der overrun Serie, entstanden sind die Arbeiten bei Artist in Residents Aufenthalten in Schöppingen, Reelkirchen (NRW-Kulturstiftung) und in Hamburg. Eine Installation aus gesammelten Wiener neophytischen Pflanzen wird bei der Eröffnung gehächselt und in die Stadt gekehrt.



# overrun

„The most dangerous of all world views is that of the people who never looked at the world.“
Alexander von Humboldt

„The damn Goldenrod will overgrow our forest,“ said my grandfather, ranger, back in the ‚70s. In the meantime many other inversive plants joined the Goldenrod. The spread of plants has not only occurred since globalization. The fascination for the foreign combined with nature has favored the introduction of neophytes hundreds of years ago. In his multi-part project #OVERRUN, Hubert Hasler addresses topics such as over-exploitation, mixing, expulsion. He does not speak of humans but of plants that have influenced our continent for centuries. Hubert Hasler discusses the intervention or attack. Neophytes are rooting in alien areas. More and more living beings from other habitats are permanently becoming involved with us. Experts believe that over the past 500 years, around 800 non-native animal and plant species have been introduced by humans and actively abandoned. These are often room and garden plants, which used to be mostly introduced by researchers in the name of the emperors. Today the spread of seeds is supported by various reasons, i.a. freight transport and travel facilitation of the globalized time. Our culinary life would be very restricted without potatoes, tomatoes, corn, aubergines, apricots and others. Especially Austria would loose some of the national dishes, such as potato salad, if we were dealing with neophytes as severely as with refugees. How much have these strangers joined us, have we grown together over time, can we imagine our own culture without these plants? Figuratively, the artist disappears behind the intruders who supposedly take the space for him.

“Die verdammte Goldrute wird unseren Wald noch überwachsen” sagte mein Großvater, Förster, bereits in den 70igern. Mittlerweile gesellten sich zu den Goldruten das Knabenkraut, Knöterich, Gojibeere, sowie viele andere inversive Pflanzen. Die Verbreitung von Pflanzen findet nicht erst seit der Globalisierung statt. Die Faszination für das Fremde kombiniert mit Natur hat bereits vor hunderten Jahren die Einschleppung von Neophyten begünstigt. In seinem mehrteiligen Projekt #OVERRUN thematisiert Hubert Hasler Themen wie Überwuchrerung, Vermischung, Vertreibung. Er spricht nicht von Menschen sondern Pflanzen, die unseren Kontinent seit Jahrhunderten beeinflussen. Neophyten wurzeln in fremden Gebieten. Immer mehr Lebewesen aus anderen Lebensräumen beeinflussen uns, bereichern und verändern unser Leben. Experten gehen davon aus, dass in den letzten 500 Jahren rund 800 nicht heimische Tier- und Pflanzenarten vom Menschen eingeschleppt  wurden. Dabei handelt es sich häufig um Zimmer- und Gartenpflanzen, die früher meist von Forschern im Namen der Kaiser eingeführt wurden. Heute wird die Verbreitung von Samen aus verschiedenen Gründen unterstützt, u.a. Güterverkehr und Reiseerleichterungen der globalen Zeit, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen der Austausch verhindert. Es gibt auch Schwarzmärkte für Samen in USA und Canada, weil Firmen wie Monsanto es verhindern, dass gutes Saatgut weitergegeben wird.

Unser kulinarisches Leben wäre ohne Kartoffeln, Tomaten, Mais, Melanzani, Aprikosen und andere sehr eingeschränkt. Vor allem Österreich würde einige der Nationalgerichte, wie z.B. Kartoffelsalat, verlieren, wenn wir so streng mit Neophyten umgehen würden wie mit Flüchtlingen. Wie sehr haben sich diese Fremden uns angeschlossen, sind wir im Laufe der Zeit zusammengewachsen, können wir uns unsere eigene Kultur ohne diese Pflanzen vorstellen? Bildlich verschwindet der Künstler hinter den Eindringlingen, die angeblich den Raum für ihn nehmen.

Denise Parizek, 2019


Photocredits Hubert Hasler